Günther Senkels und Feridun Zaimoglus Neufassung von Shakespeares Othello ist einer der entscheidenden Gründe für den („Fast-“)Skandal um Luk Percevals Inszenierung. Sie schreiben das Stück zwar nicht neu, doch nehmen sie konsequent radikale Eingriffe vor, was Wortwahl, Satzstruktur und Ausdruck betrifft.
Der Theatertext vom Anfang des 17. Jahrhunderts wird so nicht nur 400 Jahre in unsere Gegenwart katapultiert sondern erfährt eine regelrechte Neuinterpretation: die (Fäkal-)Sprache charakterisiert die Figuren als Mitglieder eines wohlhabenden, arroganten und brutalen Macht-Kartells in einem Milieu, in dem „Ficken“, „Schlampe“ und „Scheiße“ zum Alltagsjargon gehören und aus Othello „Schoko“ wird.
Das hat nichts mehr mit Shakespeare zu tun? Urteilen Sie selbst!
Original (nach Wolf Heinrich Graf Baudissin)
Rodrigo. Du hast mir stets gesagt, du hassest ihn!
Jago. Verachte mich, wenn's nicht so ist. Drei Mächtige aus dieser Stadt, persönlich
Bemüht, zu seinem Leutnant mich zu machen,
Hofierten ihm – und auf Soldatenwort,
Ich kenne meinen Preis – das kommt mir zu.
Doch er, verliebt in seinen Stolz und Dünkel,
Weicht ihnen aus, mit Schwulst, weit hergeholt,
Den er staffiert mit grausen Kriegssentenzen,
Und kurz und gut,
Schlägts meinen Gönnern ab: denn traun – so spricht
er-
Ernannt schon hab ich meinen Offizier.
Und wer ist dieser?
Seht ein! Ein gar ausbünd'ger Rechenmeister,
Ein Michael Cassio, ein Florentiner,
Ein Wicht, zum schmucken Weibe fast versündigt,
Der niemals eine Schar ins Feld geführt,
Noch von der Heeresordnung mehr versteht
Als Jüngferchen; nur Büchertheorie,
Von der in seiner Toga wohl ein Ratsherr
So weislich spricht als er – all seine Kriegskunst
Gschwätz, nicht Prais – der nun wird erzählt,
Und ich, von dem sein Auge Proben sah
Zu Rhodos, Zypern und auf anderm Boden,
Christlich und heidnisch, komm um Wind und Flut
Durch solchen Rechenknecht, solch Einmaleins;
Der, wohl bekomm's ihm, muß sein Leutnant sein,
Und ich, Gott besser's! Seiner Mohrschaft Fähnrich.
[…]
Urteilt nun selbst,
Ob mich wohl irgend Recht und Dank verpflichtet,
Zu lieben diesen Mohren.
[…]
Ich dien ihm, um mir's einzubringen; ei, wir können
Nicht alle Herren sein, nicht kann jeder Herr
Getreue Diener haben. Seht Ihr doch
So manchen pflicht'gen, kniegebeugten Schuft,
Der, ganz verliebt in seine Sklavenfessel,
Ausharrt […]
Dann gibt es andre,
Die, ausstaffiert mit Blick und Form der Demut,
Ein Herz bewahren, das nur sich bedenkt,
Die nur Scheindienste liefern ihren Obern,
Durch sie gedeihn, und wann ihr Pelz gefüttert,
Sich selbst Gebieter sind. Die Burschen haben Witz,
Und dieser Zunft zu folgen ist mein Stolz.
Denn, Freund,
's so gewiß, als Ihr Rodrigo heißt,
Wär ich der Mohr, nicht möcht' ich Jago sein.
Wenn ich ihm diene, dien ich nur mir selbst;
Der Himmel weiß es! Nicht aus Lieb' und Pflicht,
Nein, nur zum Schein für meinen eignen Zweck.
Denn wenn mein äußres Tun je offenbart
Des Herzens angeborne Art und Neigung
In Haltung und Gebärde, dann alsbald
Will ich mein Herz an meinem Ärmel tragen
Als Fraß für Krähn. Ich bin nicht, was ich bin! -
[…]
Ruft auf den Vater,
Hetzt den ihm nach; vergiftet seine Lust,
Schreit's durch die Stadt, macht ihre Vettern wild,
Und ob er unter mildem Himmel wohnt,
Plagt ihn mit Fliegen; ist die Freud' ihm Freude,
Versetzt sie dennoch ihm mit so viel Pein,
Daß sie etwas erbleiche.